„Wir müssen historische Daten in die Klimamodellierung einbeziehen“


Autor*in: Hanna Metzen

Wie lässt sich modellieren, wie soziale Faktoren im Lauf der Geschichte das Klima beeinflusst haben? Um diese Frage geht es auf einer Tagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF), an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Disziplinen vom 14. bis zum 16. November zusammenkommen. Professorin Dr. Eleonora Rohland von der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie organisiert die Tagung gemeinsam mit Dr. Jobst Heitzig vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Dr. Franz Mauelshagen vom Vienna Anthropocene Network der Uni Wien.

Frau Rohland, Sie erforschen die Geschichte der Amerikas seit Kolumbus. Was hat das mit Klima zu tun?

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sank die atmosphärische CO2-Konzentration – diese Anzeichen der „kleinen Eiszeit“ erkennt man heute in Bohrkernen aus Gletschereis. Ab 1492 kamen europäische Einwanderinnen und Einwanderer nach Nord-, Zentral- und Südamerika. Ihre mitgebrachten Krankheiten verursachten ein Massensterben der indigenen Bevölkerung. Eine Hypothese für das Absinken des CO2, die in den vergangenen Jahren immer wieder sehr kontrovers diskutiert wurde, macht die Wiederbewaldung großer Flächen verantwortlich, die auf das Massensterben folgten. Diese Flächen waren zuvor landwirtschaftlich genutzt worden. Pflanzen betreiben Photosynthese und binden CO2 in der daraus entstehenden Biomasse. Wenn der Wald wieder wächst, wird mehr CO2 aufgenommen. Das könnte auch zur Abkühlung der kleinen Eiszeit beigetragen haben. Andere Hypothesen bringen die kleine Eiszeit mit natürlichen Effekten wie Sonneneinstrahlung oder Vulkanausbrüchen in Verbindung. Um solche Kontroversen zu lösen, muss man soziale Faktoren in der Klimamodellierung beachten – und neben natürlichen Quellen wie Eisbohrkernen auch historische Dokumente miteinbeziehen.

Was erhoffen Sie sich von der interdisziplinären Zusammenarbeit auf der Tagung?

Jede Disziplin bringt ihre eigene Herangehensweise mit. Eine zentrale Frage ist, welche Daten uns geographisch und über den Zeitraum von drei Jahrhunderten zur Verfügung stehen. Forschende aus der Archäologie bringen ihr Wissen über die Besiedelung der Amerikas vor Kolumbus ein. Zum Beispiel: Wie viele Menschen haben dort gelebt, bevor die Europäer kamen? Historikerinnen und Historiker können beschreiben, was im Anschluss an Kolumbus geschah: Wie entwickelte sich die Bevölkerung der Amerikas? Bis ins 19. Jahrhundert stammte die große Mehrheit der Menschen, die in die Amerikas kamen, aus Afrika. Sie wurden zwangsdeportiert. Um die demographische Entwicklung quantifizieren zu können, haben wir einen Experten für den transatlantischen Sklavenhandel eingeladen. Die Erdsystemforschenden, die dabei sein werden, können die Auswirkungen der veränderten Landnutzung auf die Umwelt beschreiben, vor allem auf die Atmosphäre. Die Klimaforschenden wiederum können einschätzen, ob und wie sich die Schwankungen beim CO2auf die Temperaturen auswirkten. All die Daten, die in die Modellierung einfließen sollen, zu integrieren, ist für sich schon eine interdisziplinäre Aufgabe. Unser Workshop bietet Gelegenheit für einen ersten Austausch, den wir anschließend zu einer dauerhaften Kooperation ausbauen möchten.

Inwiefern ist diese Auseinandersetzung mit der kleinen Eiszeit auch für Untersuchungen des aktuellen oder zukünftigen Klimas relevant?

Klimamodelle schließen bisher alle menschlichen und gesellschaftlichen Faktoren aus. Aber das soll sich in Zukunft ändern, damit wir die Dynamik des anthropogenen Klimawandels besser verstehen. Es kommt noch etwas hinzu: Bisher gehen alle Klimamodelle davon aus, dass für die Zeit vor der Industrialisierung menschliche Einflussfaktoren vernachlässigbar sind. Mit anderen Worten: Vor etwa 1800 wurde das Klima ausschließlich von natürlichen Kräften angetrieben. Danach kamen Treibhausgase aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe und aus intensivierter Landnutzung hinzu. Heute dominieren diese anthropogenen Einflussfaktoren die natürlichen. Nun wurde aber bestritten, dass es so einfach ist. Menschliche Einflüsse könnten auch früher schon eine Rolle gespielt haben. Wenn das so wäre, dann unterschätzen aktuelle Klimamodelle eventuell sogar den menschlichen Einfluss heute.

Dr. Eleonora Rohland ist Professorin für Verflechtungsgeschichte der Amerikas an der Universität Bielefeld und forscht unter anderem zur Umwelt- und Klimageschichte. Seit Mai 2019 ist sie Direktorin des Center for InterAmerican Studies (CIAS), das sich als fakultätsübergreifende Einrichtung der Universität Bielefeld mit dem amerikanischen Doppelkontinent auseinandersetzt.

Im Podcast „Praktisch Theoretisch“ spricht sie über historische Klimaforschung: „Katrina, Katastrophen und das Klima: Should I stay or should I go?“