Auszeichnung für Innovation in der Krebsforschung


Autor*in: Universität Bielefeld

Der Jörg Schwarzbich Inventor Award für herausragende Innovationen geht dieses Jahr an den Chemiker Professor Dr. Norbert Sewald für seine wegweisenden Beiträge in der Grundlagenforschung zu Krebsmedikamenten. Der mit 40.000 Euro dotierte Preis wird von der Universitätsgesellschaft Bielefeld (UGBi) in enger Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld verliehen. Norbert Sewald und sein Team entwickelten einen neuen hoch potenten Wirkstoff, der gezielt an Tumorgewebe ausgeliefert werden kann und gesunde Zellen deutlich weniger schädigt. Es macht sie wirksamer und zugleich verträglicher.

Gruppenbild mit sechs Personen
Verleihung des Jörg Schwarzbich Inventor Awards

Um eine Krebserkrankung zu behandeln, müssen oft viele Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. In einer klassischen Chemotherapie treten meist Übelkeit, Beeinträchtigung von Haut- und Schleimhäuten, Haarausfall sowie Schädigung von Blut- und Immunzellen auf. Die Begleiterscheinungen sind das Resultat der starken Toxizität der verabreichten Stoffe. Diese Nebenwirkungen abzumildern oder sogar zu vermeiden, ist Ziel der Forschung von Norbert Sewald und seinem Team.

So gibt es seit kurzer Zeit eine Krebstherapie mit Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (antibody-drug conjugates, ADC). Deren Besonderheit liegt in ihrer Zielgenauigkeit, da der Antikörper – sozusagen als „Adressaufkleber“ – Tumorzellen erkennt, daran bindet und somit den Wirkstoff an das Tumorgewebe ausliefert. Für die Entwicklung von ADC werden möglichst hoch potente Wirkstoffe benötigt.

Die Innovation aus der Universität Bielefeld

Norbert Sewald und sein Team haben ein neues, sehr wirkungsvolles Krebsmedikament aus der Familie der Cryptophycine entworfen und hergestellt, das über hohes cytotoxisches und cytostatisches Potential verfügt, also die Zellteilung und das Zellwachstum hemmt. Dies alleine würde aber – wie in der klassischen Chemotherapie – zu Nebenwirkungen führen. Der Clou an der neuen Substanz ist, dass sie chemisch mit einem spezifischen Bindungspartner für Tumorzellen, dem „molekularen Adressaufkleber“, verknüpft werden kann. Das neue Cryptophycin lässt sich somit in ADC-Therapien nutzen. Keines der bislang in diesen Therapien verwendeten Toxine ist so potent wie das neue, von den Chemikern entwickelte Cryptophycin, das zudem auch wirksam gegen medikamentenresistente Tumore ist. Ein weiteres Problem der – ansonsten sehr erfolgreichen ADC-Therapie – ist, dass es sich um sehr große Moleküle handelt, die daher das Tumorgewebe nicht gut durchdringen können. Daher arbeiten Norbert Sewald und sein Team auch an der Entwicklung kleinerer „molekularer Adressaufkleber“, die in SMDC (small molecule-drug conjugates) genutzt werden können.

Seit 10 Jahren widmet sich Norbert Sewald diesem Thema

Die chemische Synthese komplexer Naturstoffe war für den Chemiker schon immer eine Herausforderung. Die Cryptophycine waren für ihn dabei besonders interessante Moleküle, die aber als klassisches Krebsmedikament wegen ihrer Nebenwirkungen gescheitert sind. Die Anwendung der bereits genannten Konjugate ist seit ungefähr 10 Jahren Thema der Grundlagenforschung in Bielefeld. Man spricht dabei auch von der „Magicbullet“, siehe research_tv Beitrag weiter unten. Er betont, dass es auch mit den neuen Substanzen noch ein weiter Weg bis zur klinischen Anwendung ist. Damit ist erst ein kleiner Schritt des langen Prozesses der Medikamentenentwicklung abgeschlossen, bevor ein Medikament für den tatsächlichen Einsatz zugelassen werden kann. 

Neuer Aufwind durch erhaltene Förderung

Prof. Dr. Norbert Sewald ist begeistert über die Auszeichnung und die damit verbundene Sichtbarkeit: „Wir möchten nicht im Elfenbeinturm arbeiten und freuen uns sehr darüber, dass wir so mit der Forschung auch nach draußen und einen Schritt in Richtung Anwendung gehen. Die Universität Bielefeld hat das neue Cryptophycin und dessen Konjugate patentiert. Dadurch wurde das Interesse einer Pharmafirma geweckt, die nun mit uns kooperiert.“

Durch eine Reihe von national und international geförderten Forschungsprojekten und interdisziplinären Kooperationen und nicht zuletzt den Jörg Schwarzbich Inventor Award hat das Forscherteam rund um Sewald die Möglichkeit, weiter auf hohem Niveau zu forschen und neue Folgeprojekte anzustoßen. Durch diese Aktivitäten können auch neue Forschertalente angeworben werden.

Forschung an der „Magicbullet“


Die Grundlagenforschung von Prof. Dr. Norbert Sewald hilft bei der Entwicklung neuer Krebsmedikamente

Das Problem der konventionellen Chemotherapie zur Behandlung von Krebs ist,
dass die Medikamente nicht selektiv sind und dem Körper durch ihre Nebenwirkungen schaden.
„Magicbullet“ Entwicklung zielgerichteter Medikation zur Behandlung von Krebs
Vor über 100 Jahren hatte der Nobelpreisträger und Arzt Paul Ehrlich die Idee,
eine „Zauberkugel“ zu entwickeln, welche den Tumor bzw. die Ursache der Erkrankung
direkt treffen sollte.
Wir haben vor einigen Jahren dieses Netzwerkprojekt begonnen und es ist uns gelungen,
mit einer Gruppe Wissenschaftlern aus ganz Europa
das Wissen zur Idee der Zauberkugel (Magicbullet) zusammenzubringen.
Wir wurden von der Europäischen Union im Rahmen des Horizon2020-Programms gefördert,
um diese Idee weiterzuentwickeln
und um junge Wissenschaftler in diesem anspruchsvollen Gebiet auszubilden.
Das Problem der konventionellen Chemotherapie zur Behandlung von Krebs ist,
Problem with traditional chemotherapy
dass die zytotoxischen Medikamente welche verwendet werden,
sowohl Krebszellen als auch gesunde Zellen zerstören.
Krebs hat verschiedene Eigenschaften
und eine davon ist das Vorhandensein spezieller Proteine, welche auf der Oberfläche der Krebszellen,
nicht aber im gesunden Gewebe zu finden sind.
Im Rahmen des Magicbullet-Projekts
fokussieren wir uns auf synthetische Peptide, welche diese Proteine auf der Zelloberfläche erkennen können.
Wir verbinden diese Peptide mit zytotoxischen Medikamenten,
sodass dieser Komplex die Krebszellen nun selektiv zerstören kann.
Um eine dieser „Zauberkugeln“ herzustellen,
treffen wir uns mit Wissenschaftlern mit unterschiedlichen Kompetenzen,
um ein Molekül zu entwickeln,
welches für uns von Interesse ist und die richtigen Anti-Krebs-Eigenschaften besitzt
Wenn wir uns einig sind, was wir synthetisieren wollen, fangen wir mit den chemischen Reaktionen an
Wir nutzen verschiedene Techniken unter verschiedenen Bedingungen.
Nach jeder Reaktion isolieren wir unsere Komponenten.
Wir überprüfen, dass wir die gewünschten Verbindungen erhalten haben,
und nach einigen Schritten haben wir das erwünschte Produkt, welches wir weiter testen können.
Es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen Biologen und Chemikern.
Die Biologen testen die Verbindungen, welche von den Chemikern synthetisiert wurden.
Was wir erreichen wollen, ist die Selektivität bezüglich der Tumor-Zelllinien.
Aus diesem Grund nutzen wir verschiedene Zelllinien, also Tumor-Zelllinien und gesunde Zelllinien,
und vergleichen, wie sich die Toxizität in verschiedenen Zellen auswirkt.
Wir machen Zytotoxizitäts-Studien und können sehen, wie die Verbindungen in die Zellen gehen
und so herausfinden, ob eine wirkliche Selektivität vorliegt.
Es war eine wirklich großartige Erfahrung im Magicbullet-Netzwerk zu arbeiten,
weil alle Beteiligten so gut miteinander interagiert haben.
Es ist keine einfache Aufgabe, neue Wirkstoffkonjugate für die gerichtete Therapie zu entwickeln.
Ich möchte wirklich betonen, dass es sich um Grundlagenforschung handelt.
Wir können nicht erwarten, unsere Erkenntnisse in nächster Zeit in die Klinik zu bringen.
Allerdings haben wir vielversprechende Ergebnisse und Daten – vorklinisch natürlich –
daher sind wir sehr daran interessiert, unsere enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern fortzuführen.

Bielefelder Namensgeber des Erfinderpreises

Der Bielefelder Unternehmer Jörg Schwarzbich fördert den nach ihm benannten Erfinderpreis insgesamt zehn Jahre; er wird 2023 zum dritten Mal verliehen. Das Preisgeld in Höhe von jährlich 40.000 Euro kommt von der ROLLAX-Kugellagerfabrik, einem Unternehmen der Jörg Schwarzbich Stiftung. Der Preis wird in enger Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld ausgelobt. Aktuell sitzen in der Jury: Dr. Rainer Wend (UGBi), Herbert Vogel (UGBi), Dr. Birgit Vemmer (UGBi), Jürgen Heinrich (UGBI-Beisitzender der Jury) Jörg Schwarzbich (Stifter), Prof. Dr. Reinhold Decker (UBi), Prof. Dr. Armin Gölzhäuser (UBi), Juniorprofessorin Dr. Sabrina Backs (UBi).