Avatare gegen Adipositas


Autor*in: Universität Bielefeld

Adipositas, also die krankhafte Form von Übergewicht, ist weit verbreitet und hat Auswirkungen auf das soziale Leben und die Psyche von Betroffenen. Das Team um Professor Dr. Mario Botsch vom Exzellenzcluster CITEC der Universität Bielefeld forscht gemeinsam mit den Arbeitsgruppe von Professor Dr. Marc Erich Latoschik und Juniorprofessorin Dr. Carolin Wienrich von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg an neuen Therapiemöglichkeiten. Beteiligt sind außerdem Gruppen der TU München, der HTW Berlin und der FH Gera sowie die Unternehmen brainboost GmbH und The Captury GmbH. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt ViTraS in den kommenden drei Jahren mit rund 2,5 Millionen Euro. ViTraS steht für „Virtual Reality Therapy by Stimulation of Modulated Body Perception“.

„Für starkes Übergewicht gibt es verschiedene Ursachen. Dazu zählen zum Beispiel Lebensgewohnheiten, sozio-kulturelle, psychische oder genetische Faktoren“, erläutert Latoschik, der an der JMU den Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktion leitet. „Bislang stehen Diäten, die Änderung der Lebensgewohnheiten oder die operative Verkleinerung des Magens als Therapieoptionen im Vordergrund. Die psychischen Ursachen und Folgen bleiben oft untergeordnet.“

Viele Menschen mit Adipositas zeigen Veränderungen der Wahrnehmung ihres Körpers, was die therapeutische Arbeit erschwert. Darüber hinaus spielt die äußere Form des Körpers in so gut wie allen sozialen Situationen eine Rolle. Menschen mit Adipositas vermeiden daher häufig soziale Situationen mit Konsequenzen für das Wohlbefinden. Hier wollen die Forschungsteams ansetzen.

Realistisches Bild des Körpers vermitteln

„Die Patientinnen und Patienten sollen zunächst ein realistisches Bild ihres eigenen Körpers erhalten, kein von außen beeinflusstes, wertendes Bild“, erläutert Wienrich, die an der JMU die Juniorprofessur für Mensch-Technik-Systeme innehat. „Dazu erschaffen wir ein exaktes virtuelles Abbild der betroffenen Person, einen sogenannten Avatar.“

Um diesen Avatar so lebensecht wie möglich zu gestalten, werden Patientinnen und Patienten mit 120 Kameras aus verschiedenen Perspektiven fotografiert. Das Team von Professor Dr. Mario Botsch an der Universität Bielefeld setzt daraus ein realitätsgetreues Abbild des Körpers zusammen, das danach im virtuellen Raum agieren kann – gesteuert vom Patienten selbst.

Der CITEC-Wissenschaftler Prof. Dr. Mario Botsch sorgt im Projekt „ViTraS“ mit Geometrieverarbeitung für personalisierte Avatare. Foto: CITEC/Universität Bielefeld

Nachdem das eigene Abbild im virtuellen Raum geschaffen wurde, lassen sich unterschiedliche Therapieansätze verwirklichen. „Das Neuartige an unserem Forschungsprojekt ist, dass wir erstmals realistische personalisierte Avatare in virtueller Realität für den Umgang mit Adipositas einsetzen“, sagt Mario Botsch. Er leitet die Forschungsgruppe Computergrafik und Geometrieverarbeitung, die zur Technischen Fakultät und dem Exzellenzcluster CITEC gehört.

„Wir haben dann zum Beispiel die Möglichkeit, das Aussehen des Avatars beliebig zu verändern“, sagt Botsch. „In der virtuellen Darstellung können wir zum Beispiel den schleichenden Gewichtsanstieg über viele Jahre in der Rückschau aufarbeiten. Wir können auch sichtbar machen, zu welchen Ergebnissen die Gewichtsabnahme in einer erfolgreiche Therapie führen könnte. “

Freiraum in der virtuellen Welt

Die virtuelle Welt lässt einen nahezu unbegrenzten Freiraum für Anwendungen und Erfahrungsmöglichkeiten. „Losgelöst vom realen Körper könnten sich Menschen mit einer frei wählbaren Erscheinungsform weltweit in virtuellen Gruppentherapien austauschen. Sonst negativ wahrgenommene Körperbilder treten hier in den Hintergrund“, erläutert Wienrich.

Das Projekt ViTraS verbindet Aspekte der interaktiven Computergrafik, Kognitionsforschung und Informatik. Es setzt auch auf Gamification – also auf die Nutzung von Elementen aus Computerspielen. „Dabei interessieren uns vor allem Fragen zu Spielemechaniken und zur Motivierung der Teilnehmenden“, sagt Latoschik.

Das Deutsche Institut für Virtual Reality (DIVR) hat das Konzept von ViTraS schon kurz nach dem Start des Projekts ausgezeichnet. Im Rahmen der „DIVR Science Awards“ erhielt ViTraS den Preis in der Kategorie „Best Impact“.