„Auch die beste Lehrkraft braucht geeignetes Unterrichtsmaterial“


Autor*in: Maren Berthold

Eine Lehrerin möchte einem Kind mit starker Sehschwäche und einem Kind mit speziellem Förderbedarf denselben Inhalt näherbringen. Doch wie soll das funktionieren, wenn beide Schüler*innen vollkommen unterschiedliche Anforderungen an das Unterrichtsmaterial haben? Eine Bielefelder Erziehungswissenschaftlerin leitet ein Forschungsprojekt, das für solche Fälle Lösungskonzepte entwerfen soll. Drei Fragen an die Professorin Dr. Michaela Vogt.

Was macht Unterrichtsmaterialien inklusiv?

Es gibt nicht das eine Paradebeispiel für Material zum inklusiven Unterrichten. Unterschiedliche Kinder haben unterschiedliche Bedarfslagen, jede Schulklasse ist heterogen zusammengesetzt. Deswegen braucht es ein Baukastensystem. Damit kann die Lehrkraft das Material an die Kinder anpassen. Aktuell steht jedoch den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schüler*innen ein Mangel an geeignetem Unterrichtsmaterial gegenüber. Die Lehrkraft steht dazwischen und muss ausgleichen. Aber die beste Lehrkraft ist nichts ohne geeignetes Material. An dieser Stelle setzen wir – das sind der Projektkoordinator Christoph Bierschwale und ich – mit unserem Projekt an: Ausgangsbasis ist eine international-vergleichende Studie, in der wir mit Projektpartner*innen Unterrichtsmaterialien mit inklusivem Anspruch aus europäischen Ländern analysieren, Bewertungskriterien zusammenstellen und selbst Unterrichtsmaterialien entwickeln. Außerdem brauchen die Lehrer*innen Fortbildungen, damit sie lernen, wie sie verfügbare Materialien selbst anpassen.

Wie soll eine Lehrkraft Kindern mit unterschiedlichen Lernbedürfnissen denselben Inhalt vermitteln, wenn es an inklusiven Unterrichtsmaterialien fehlt? Unter anderem dazu forscht Professorin Dr. Michaela Vogt in einem EU-geförderten Projekt. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

Wen möchten Sie mit der Forschung erreichen?

Das allgemeine Problem ist, dass die Anforderungen an die Lehrkräfte durch den Anspruch an inklusives Unterrichten eher zunehmen, aber neue Lehrer*innenstellen fehlen. Ich glaube, dass gute Unterrichtsmaterialien einen Ausgleich schaffen können. Mit unserer Forschung setzen wir am Lehrer*innenbedarf an und hoffen, die Situation in Teilen zu verbessern. So profitieren auch Schüler*innen von besserem Unterricht. Außerdem möchten wir die Verlage erreichen. Sie produzieren in Deutschland Unterrichtsmaterialien, passen diese jedoch häufig nicht an die unterschiedlichen Lernbedürfnisse der Kinder an – sogar wenn die Materialien als „inklusiv“ bezeichnet werden. Letztendlich hoffe ich, dass wir sowohl das Interesse der Bildungspolitik als auch das der Wissenschaftler*innen wecken und die Forschung in diesem Feld vorantreiben.

Inwiefern passt Ihr Projekt in das Forschungsprofil der Universität Bielefeld?

Die Universität ist im Forschungsbereich „Inklusion“ im nationalen wie internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt. Der Bereich ist an der Universität Bielefeld zum interdisziplinären Querschnittsthema geworden. Das zeigen sowohl die neun Professuren dazu an der Fakultät für Erziehungswissenschaft als auch weitere Forschungen. Das Projekt profitiert zudem von der lebendigen Forschungs- und Diskurskultur hier in Bielefeld. Ich habe die Universität als offen gegenüber neuen Impulsen erlebt und das hilft ungemein beim gemeinsamen Arbeiten an innovativen Themen.

Professorin Dr. Michaela Vogt (37) ist seit 2018 an der Universität Bielefeld, bis Ende 2019 als Juniorprofessorin. Sie leitet das von der Europäischen Union geförderte Forschungsprojekt „Inklusive Unterrichtsmaterialien im europäischen Vergleich – Kriterien für ihre Entwicklung und Bewertung“. Sie promovierte an der Universität Würzburg, wo sie später auch als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und -didaktik arbeitete. Zudem forschte sie als Juniorprofessorin für Pädagogik und Didaktik der Primarstufe an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Universität Bielefeld koordiniert zwei Projekte in Erasmus+

Das EU-Programm Erasmus+ fördert das Projekt noch bis August 2021 mit über 400.000 Euro. Es ist eines von zwei Projekten in Erasmus+, die die Universität Bielefeld aktuell koordiniert. Noch bis August 2022 läuft das Projekt „LabSchoolsEurope: Participatory Research for Democratic Education [Partizipationsforschung für Demokratische Bildung]“, geleitet von Professorin Dr. Annette Textor.