Reha mit 3D-Technologie und virtueller Realität


Autor*in: Linda Thomßen

Neurowissenschaftler*innen des Instituts CITEC der Universität wollen mit einem neuen Projekt Betroffene von Muskel-Skelett-Verletzungen unterstützen, schneller wieder fit zu werden. Für ihr System setzen sie 3D-Technologie und virtuelle Realität ein. Das Projekt „Vecury“ wird für eineinhalb Jahre mit 240.000 Euro durch die Förderlinie „Startup-Transfer.NRW“ des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert.

Wenig Zeit in der Physiotherapie, Mangel an Anleitung und oft fehlende Motivation verzögern die Erholung der Patient*innen und damit die Rückkehr in den Alltag. Das soll „Vecury“ ändern: Dr. Rümeysa Gündüz Can und die Doktoranden Miguel Angel Cienfuegos Tellez und Alessio D’Aquino entwickeln eine Virtual-Reality-Plattform, die auf die individualisierten Bewegungsmöglichkeiten der Patient*innen abgestimmt ist und auf diese Weise ihre Rehabilitation außerhalb der Physiotherapie unterstützt. Dafür arbeiten die Neurowissenschaftler*innen mit den Medizinern Professor Dr. med. Thomas Vordemvenne und Privatdozent Dr. med. Dirk Wähnert von der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Evangelischen Klinikum Bethel zusammen.

Dr. Rümeysa Gündüz Can und die Doktoranden Miguel Angel Cienfuegos Tellez (li.) und Alessio D’Aquino (re.) wollen mit „Vecury“ die Physiotherapie von Patient*innen unterstützen. Foto: Universität Bielefeld

Individuelles Physioprogramm für jede*n Patient*in

Rümeysa Gündüz Can und ihre beide Projektmitarbeiter forschen im Arbeitsbereich „Neurokognition und Bewegung – Biomechanik“ unter der Leitung von Professor Dr. Thomas Schack am Center for Cognitive Interaction Technology (CITEC). „Das Bemerkenswerte an Vecury ist, dass das Rehabilitationssystem auf die realen und individuellen Bedürfnisse der Patient*innen zugeschnitten ist und nicht auf abstrakten Modellen basiert“, erklärt Schack.

„Mit unserem System können die Patient*innen selbstständig Bewegungen trainieren, indem sie die in der Rehabilitationseinrichtung durchgeführten Übungen wiederholen“, sagt Dr. Rümeysa Gündüz Can. „Indem das System das Training dokumentiert, gewinnen Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen einen objektiven Überblick über den Rehabilitationsfortschritt. Auch die Patient*innen können ihren Genesungsfortschritt kontrollieren.“ Das System stellt sich auf die Nutzer*innen individuell ein. „Zunächst werden die Präferenzen, Erwartungen, Leistungen und die Gesamterfahrung der Patient*innen identifiziert. Damit ist unser System in der Lage, die Art und Intensität des Trainings auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen und das richtige Maß an Herausforderung für die Patient*innen zu bieten“, sagt Gündüz Can.

Zusammenarbeit mit Kliniken

Behandelt werden sollen zunächst vor allem junge Patient*innen, die aufgrund von Unfällen schwere Verletzungen erlitten haben und eine umfassende Rehabilitation benötigen, bevor sie wieder ihrem täglichen Leben nachgehen können. „Die Patient*innen bekommen eine Reihe von Übungen verordnet, die täglich bis zum nächsten Physiotherapiebesuch durchgeführt werden sollen. Im Grunde genommen verbringen die Patient*innen den Großteil der Zeit mit Übungen, die sie ohne Aufsicht durchführen“, sagt Gündüz Can. „Unsere Plattform soll direkt zu Beginn einer Physiotherapie eingeführt werden, sodass die Patient*innen direkt mit einem individuellen Programm ohne medizinische Aufsicht starten können.“ Dafür erfassen die Physiotherapeut*innen den Bewegungsbereich der Patient*innen und erstellen auf diesen Daten aufbauend einen Trainingsplan.

Im vergangenen Jahr entwickelten die Forschenden bereits eine funktionierende Demonstration ihrer Idee, die sie auf Veranstaltungen und Konferenzen in Europa vorstellten. Dafür befragten und testeten sie auch 16 Patient*innen vom Zentrum für ambulante Rehabilitation in Bielefeld und vom Evangelischen Klinikum Bethel am Beginn und am Ende ihrer Rehabilitation. „Obwohl wir keine streng wissenschaftliche Studie durchgeführt haben, waren die Informationen, die wir aus dem Feedback gezogen haben, für unsere Idee sehr wertvoll“, sagt Gündüz Can. „Nun bereiten wir eine Machbarkeitsstudie mit unserem klinischen Partner in Bethel vor. Die Zusammenarbeit mit Bethel ermöglicht es uns, eng mit den Patient*innen zusammenzuarbeiten und Erkenntnisse zu gewinnen, wie die technische Entwicklung unserer Plattform aus ärztlicher Sicht am besten angegangen werden kann.“

Ziel einer marktfähigen medizinischen Plattform

Zunächst wird das System nur in Kliniken und Krankenhäusern getestet, langfristig soll es aber auch zu Hause angewendet werden können. „Wir sehen definitiv die Möglichkeit einer Heimanwendung, aber wir müssen mit Rechtsexpert*innen die Datensicherheit bewerten“, sagt Gündüz Can. „Außerdem wollen wir so viele Patientinnen und Physiotherapeutinnen wie möglich erreichen, um ihre Meinung zu hören und unsere Idee auf der Grundlage ihrer und unserer Vision dynamisch zu gestalten.“

In den kommenden eineinhalb Jahren streben die Forschenden eine voll funktionsfähige und marktfähige Version ihrer medizinischen Plattform an. Doch danach soll das Projekt Vecury nicht zu Ende sein, so Gündüz Can: „Wir wollen Vecury als ein Unternehmen für digitale Medizintechnik in Deutschland etablieren und innerhalb der nächsten fünf Jahre weitere europäische Märkte erreichen. Mit Bethel haben wir bereits eine gute Zusammenarbeit geschaffen, die wir unter Einbeziehung verschiedener Interessengruppen wie Krankenkassen und wissenschaftlicher Partner ausbauen wollen.“

Mit einer Virtual-Reality-Brille üben die Patient*innen zum Beispiel das Greifen. Foto: Universität Bielefeld

Förderung als wissenschaftliches Startup

Der Projektname „Vecury“ steht für „Virtual Reality Platform for the Motor Rehabiliation of Upper-Limb Impairments“ (Virtual-Reality-Plattform für die Bewegungsrehabilitation bei Beeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen). Das Projekt wird ab Mai über das Programm Startup-Transfer.NRW unterstützt. Die Förderlinie des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen soll junge Wissenschaftler*innen bei ihren ersten unternehmerischen Erfahrungen unterstützen. Gefördert werden vor allem innovative Geschäftsideen im Bereich Digitales, die ein tragfähiges Geschäftskonzept vorweisen können. Auf diese Weise geförderte Startups können bis zu 240.000 Euro für einen Zeitraum von 18 Monaten erhalten, um ihre Idee zu entwickeln und ihr Unternehmen am Ende des Projekts zu gründen.