Wie lassen sich grüne Technologien durchsetzen?


Autor*in: Jörg Heeren

Industrieunternehmen kämpfen als Folge der Coronapandemie um ihre Existenz. Ein Vorschlag lautet: Umwelt- und Klimaziele mit Konjunkturprogrammen verknüpfen, um die deutsche Wirtschaft zu
unterstützen. Welche Chance hat Klimapolitik, den technologischen Wandel hin zu grüner Technologie zu beeinflussen? Das ist eine der Fragestellungen einer Studie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Bielefeld. In einem Modell wird dafür die Volkswirtschaft eines typischen Staates der Europäischen Union nachgeahmt.

„Das Modell simuliert den Wettbewerb zwischen einer etablierten konventionellen Technologie und einer grünen Einstiegstechnologie“, sagt Professor Dr. Herbert Dawid. Sein Lehrstuhl entwickelt computergestützte Modelle zur Wirtschaftsentwicklung. Die aktuelle Studie erweitert ein Modell, das in einem EU-Projekt, an dem Bielefelder Wissenschaftler*innen unter Dawids Leitung beteiligt waren, entwickelt wurde (Eurace@Unibi). Zu grünen Technologien gehören nicht nur erneuerbare Energien, sondern alle Produktionsmethoden, die Energie und Materialien effizienter und damit ressourcenschonender nutzen als die etablierte Alternative.

Kerstin Hötte und Herbert Dawid erforschen mit computergestützten Simulationen, wie politische Maßnahmen klimafreundliche Technologien fördern können. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

Eine Volkswirtschaft zum Experimentieren

Eine Computersimulation des neuen Modells spielt verschiedene Szenarien durch, um zu klären, wie sich eine neue grüne Technologie gegen eine konventionelle, braune Technologie behauptet. Die simulierte Volkswirtschaft ist stark vereinfacht. Sie besteht aus 80 Unternehmen, die Konsumgüter herstellen, und je einem Unternehmen, das grüne beziehungsweise braune Technologie anbietet. Hinzu kommen zwei Privatbanken, eine Zentralbank, die Regierung des Landes und 1.200 Haushalte. Angehörige der Haushalte arbeiten in den Firmen und geben als Konsument*innen Geld für Produkte aus.

Die Ökonomin Kerstin Hötte, Mitarbeiterin von Herbert Dawid, hat das Modell in ihrer Dissertation entwickelt. „Alle Akteur*innen in den Simulationen bekommen bestimmte Eigenschaften zugewiesen und verfolgen eigene Ziele“, sagt Hötte. So achtet ein Unternehmen unter anderem darauf, Kosten zu sparen und Gewinne zu erzielen.

Viele Unternehmen müssen das Know-how für die Nutzung grüner Technologie erst aufbauen. Subventionen können dafür einen wichtigen Impuls geben“, sagt die Ökonomin Kerstin Hötte. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

Warum geben Firmen die braune Technologie nicht auf?

„Heutzutage stehen Industriefirmen etliche Technologien zur Verfügung, mit denen sie ihre Produkte klimafreundlicher herstellen können“, sagt Hötte. Dazu gehören beispielsweise der Einsatz erneuerbarer Energien und ressourcenschonender Materialien, aber auch Effizienzsteigerungen, die den Energieund Materialbedarf verringern. „Und trotzdem halten Unternehmen oft über Jahre an CO2-intensiven Verfahren fest.“

„Ein Hindernis, alternative Anlagen anzuschaffen und einzusetzen, kann darin liegen, dass es dem Unternehmen schwerfällt, sich umzustellen.“ Wenn beispielsweise ein Energieunternehmen über Jahrzehnte auf Kohlekraft gesetzt hat, fehlt das Knowhow für die Nutzung erneuerbarer Energien. Um dieses neue Wissen aufzubauen, braucht die Firma gut ausgebildete Fachkräfte, aber auch Erfahrungswissen, das nicht über den Arbeitsmarkt eingekauft werden kann.

„Ob ein Unternehmen in grüne Technologie investiert, wird außerdem davon beeinflusst, wie produktiv die neuen Anlagen sind“, erklärt Hötte. „Eine energiesparende Maschine kann zum Beispiel den Nachteil mit sich bringen, dass sie technisch weniger ausgereift ist und einen höheren Arbeitseinsatz erfordert, wodurch die Lohnkosten steigen.“

Wie sich Steuern und Subventionen auswirken

Die Wissenschaftlerin hat das Modell tausendfach im Computer simuliert und für jede Versuchsreihe einzelne Voraussetzungen geändert. In jeder der Berechnungen wird simuliert, wie die Akteur*innen über mehrere Jahre interagieren. In einem Experiment erprobte Hötte, wie sich politische Regelungen auf die Verbreitung grüner Technologien in Unternehmen auswirken. Das Ergebnis: „Wie erfolgreich eine politische Maßnahme ist, hängt davon ab, worauf sie gerichtet ist. Klimasteuern wie die CO2-Steuer können Unternehmen beispielsweise den Anreiz bieten, in eine grüne Technologie zu investieren, obwohl sie weniger produktiv ist als die konventionelle Technologie. Durch die geringere Produktivität sind die Lohnkosten pro produzierte Einheit höher.“ Die Klimasteuer gleicht den finanziellen Nachteil aus.

Doch auch Subventionen können laut der Analyse sinnvoll sein. „Sie sind besonders durchschlagend als Preisstützung, wenn die Nachfrage nach einer aufkommenden grünen Technologie wie zum Beispiel Solaranlagen gering ist. Sie sind außerdem wirksam, wenn einem Unternehmen das Know-how fehlt, die nachhaltige Technologie einzusetzen“, sagt Kerstin Hötte.

Die Auswertung der Simulation zeige, wie wichtig es sei, die Wirkung von Klimasteuern und Subventionen auf die längerfristige Entwicklung der Ökonomie genau abzuwägen, sagt Herbert Dawid. „Entscheidend ist auch, die jeweilige politische Maßnahme über längere Zeit durchzuhalten. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit. Sonst wird die Investition in eine neue Technologie für sie zum finanziellen Risiko.“

Die Forschungsdaten im Netz

Die Daten der Studie zu grünen Technologien sind online verfügbar. Erfasst sind der Programmcode des Modells, die Rohdaten der Simulation – mehrere Gigabyte – und die Dateien der statistischen Auswertung. Kerstin Hötte hat sich für die Veröffentlichung vom Kompetenzzentrum Forschungsdaten beraten lassen. Das Kompetenzzentrum ist eine Kooperation der Universitätsbibliothek und des Bielefelder IT-Servicezentrums (BITS). Die Mitarbeiter*innen des seit November 2018 bestehenden Zentrums haben Hötte unterstützt, ihre Forschungsdaten so zusammenzustellen, dass andere Wissenschaftler*innen für eigene Untersuchungen darauf zugreifen können. „Für mich hat die Veröffentlichung auch den Vorteil, dass es eine Archiv-Version der Daten gibt, die ich zum Beispiel für Folgestudien nutzen kann“, sagt Hötte. „Außerdem ist es hilfreich, bei Begutachtungen von Forschungsartikeln auf die Datenpublikation verweisen zu können.“

Dieser Artikel stammt aus „BI.research“, dem Forschungsmagazin der Universität Bielefeld. Hier gibt es die neue Ausgabe des Magazins.

Industrial companies are fighting to survive as a result of the coronavirus pandemic. One suggestion is to support the German economy by linking environmental and climate targets with economic stimulus packages. What chance does climate policy have of influencing technological change towards green technology? This is one of the questions posed by a study at Bielefeld University’s Faculty of Business Administration and Economics. It is using a model to imitate the economy of a typical state in the European Union.

‘The model simulates competition between an established conventional technology and a green entry-level technology,’ says Professor Herbert Dawid. His chair is developing computer-based models of economic development. The current study extends a model developed in an EU project involving Bielefeld scientists under Dawid’s leadership (Eurace@Unibi). Green technologies do not just include renewable energies but all production methods that use energy and materials more efficiently and thus conserve resources better than the established alternative.