Unerwartet, aber erfreulich: Bewilligung der Medizinischen Fakultät OWL
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Fotografin: Norma Langohr
Quelle: Universität Bielefeld
Seit dem 1. Oktober 2018 ist Prof. Dr. Claudia Hornberg Gründungsdekanin der neuen Fakultät, die sich seit diesem Tag offiziell „in Gründung“ befindet. Sie ist Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin und seit 2002 Inhaberin der Professur für Umwelt und Gesundheit an der Bielefelder Fakultät für Gesundheitswissenschaften. Als Gründungsdekanin wird sie den Gründungsprozess begleiten und mit dem Rektorat und in Abstimmung mit einem Gründungsbeirat, dem externe Expertinnen und Experten angehören, die Konzeption der Fakultät erarbeiten. Zum Wintersemester 2021/2022 sollen die ersten angehenden Ärztinnen und Ärzte ihr Studium in Bielefeld aufnehmen. Im Endausbau (ab 2025) sollen hier bis zu 300 Studierende pro Jahr ihr Studium beginnen.
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Fotografin: Norma Langohr
Quelle: Universität Bielefeld
„Bochumer Modell“ mit Innovationen
Die Universität Bielefeld wird – ähnlich wie die Ruhruniversität Bochum – kein eigenes Universitätskrankenhaus betreiben. Stattdessen wird sie mit einzelnen Kliniken ostwestfälischer Krankenhäuser in der Medizinausbildung kooperieren. Daneben wird die Universität mit der Einrichtung eines Modellstudiengangs ihrer Innovationskraft gerecht. Der Schwerpunkt soll auf der Allgemeinmedizin liegen. Die neue Fakultät soll in Forschung und Lehre hochvernetzt mit den anderen Fakultäten agieren.
Frühere Versuche
Bereits 2010/2011 wurde die Einrichtung einer Medizinischen Fakultät in Bielefeld politisch diskutiert. Die Universität fasste seinerzeit erste Überlegungen in einem Eckpunktepapier zusammen, die im Laufe der aktuellen Gründung nützlich waren. Damals wurden die weit fortgeschrittenen Pläne von NRW-Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP) durch die Abwahl der schwarzgelben Koalition ins Stocken gebracht und später von der neuen rotgrünen Landesregierung nicht im angedachtem Maße weiterverfolgt. Kuriose Notiz am Rande: Bereits die Konzeption von Prof Dr. Helmut Schelsky in den 1960er Jahren sah eine Medizinische Fakultät für Bielefeld vor, diese Idee wurde damals allerdings aus Kostengründen verworfen und nicht realisiert.
Bielefeld wird Zentrum der Gesundheitsausbildung in NRW
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Fotograf: Klaus Halbe
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01879
Die Fakultät wurde nach dem Muster unabhängiger „Schools of Public Health“ gegründet, die vor allem in den USA populär sind, und besaß als Zielrichtung die Erhaltung und Förderung von Gesundheit. Klaus Hurrelmann sagte anlässlich seiner Wahl zum Gründungsdekan: „Mit der Gründung der neuen Fakultät wird Bielefeld zur Hochschuladresse Nr. 1 für die neuen Gesundheitsberufe und für die moderne interdisziplinäre Gesundheitsforschung.“
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Fotograf: Klaus F. Linnenbrügger
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01880
Gesundheitsforschung für und mit OWL
In Bielefeld waren die Voraussetzungen für diese innovative Neugründung hervorragend. Neben der stark ausgeprägten Interdisziplinarität wurde gerade das Fehlen einer medizinischen Fakultät als Vorteil angesehen, um ohne die Verengung auf kurative Medizin die Schwächen und Verbesserungsmöglichkeiten der medizinischen Vor- und Nachsorge in den Blick nehmen zu können. Gleichzeitig konnte die gesundheitswissenschaftliche Fakultät von Anfang an auf medizinische Partner in der „Gesundheitsregion Ostwestfalen“ zurückgreifen, u.a. die von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel oder das Herzzentrum Bad Oeynhausen, was sich bis heute in der Beteiligung an Lehre und an Forschungsprojekten niederschlägt.
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Fotografin: Norma Langohr
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01881
Die Fakultät trieb bereits in ihrer Anfangszeit die Forschung auf medizinwissenschaftlichen Gebieten wie Pflegeforschung und Krankenhaussystemforschung entscheidend voran und zeichnet sich bis in die Gegenwart vor allem durch problemorientierte Grundlagenforschung aus. Besondere Forschungsschwerpunkte umfassen das Fachgebiet der Gerontologie oder die Analyse von gesundheitlichen Effekten und Implikationen vor dem Hintergrund der fortschreitenden Differenzierung und Diversifizierung der Gesellschaft.
Vorreiter in der Erforschung intelligenter Systeme – die Technische Fakultät
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 133
Die ersten Planungen für die Technische Fakultät begannen bereits 1984. Schon im Senatsbeschluss zur Errichtung vom 6. Februar 1985 wurden mögliche Forschungsfelder wie z.B. die Erforschung der künstlichen Intelligenz genannt, die in der späteren Fakultät – teilweise bis in die Gegenwart – eine große Rolle spielen sollten. Nach langjähriger Konzeptionsphase konnte zum Wintersemester 1989/90 der damals bundesweit einmalige Diplomstudiengang Naturwissenschaftliche Informatik starten – noch bevor die Fakultät offiziell gegründet war.
Forschungsstärke durch Forschungszentren
Die Fakultät startete mit den Abteilungen Informationstechnik und Bioinformatik. Diese Abteilungen wurden später noch durch die Biotechnologie ergänzt. Die Forschungsstärke der Technischen Fakultät zeigt sich in den vier Forschungszentren, die die Fakultät (teilweise interdisziplinär) betreibt – CITEC, CeBiTec, CoR-Lab und FSPM2. Im CITEC werden besonders Interaktionen zwischen Mensch und Maschine erforscht, das CeBiTec widmet sich der interdisziplinären Forschung in den „Life Sciences“, das CoR-Lab versucht Fragen der semantischen Kommunikation mit Maschinen zu lösen und der Forschungsschwerpunkt Mathematische Modellierung bietet eine gemeinsame Plattform für Anwendungen der Mathematik in den Naturwissenschaften.
Frauen im Zentrum der Forschung – Eröffnung der IFF
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Fotograf: Manfred Kettner
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
Die Entstehung der IFF lässt sich bis zu einer Initiative im Jahr 1975 zurückverfolgen, als Frauen den Anstoß zu Frauenseminaren an der Bielefelder Universität gaben. Auf Anregung des Rektors Prof. Dr. Karl Peter Grotemeyer wurde im Mai 1980 ein ZiF-Kolloquium zur Errichtung eines Universitätsschwerpunktes Frauenforschung veranstaltet, an dem auch Prof. Dr. Reimut Jochimsen teilnahm, der damalige Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW. Aus diesem Kontakt ergab sich die Fördermöglichkeit für eine Geschäftsstelle für Frauenforschung zur Errichtung eines Universitätsschwerpunktes Frauenforschung.
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Fotograf: Manfred Kettner
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
Neuer Name für ein neues Zentrum
1987 wurde die dauerhafte Verankerung der Forschungsgruppe durch den Senat der Universität Bielefeld beschlossen. Durch ein neues Hochschulgesetz konnte die Frauenforschung in der damaligen Form jedoch nicht mehr weitergeführt werden. Entstanden ist daher die zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität, zunächst unter dem Namen Interdisziplinäres Frauenforschungszentrum. 2004 erfolgte die Umbenennung in Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung, 2016 schließlich in Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung (IZG).
Die Aktivitäten des Zentrums richten sich auf die Akzentuierung, Förderung und Durchführung von Geschlechterforschung mit einer interdisziplinären Perspektive. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sind dabei ebenso Thema wie Differenzen innerhalb der Geschlechtergruppen.
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 233
Der Studiengang Sport – viel mehr als Akrobatik und Zumba
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 22
Der Studiengang Sport startete 1978 mit einem Reformkonzept, das sich Theorie-Praxis-Überbrückung nannte: Die Bielefelder Universität verlangte, dass Lehrende in beiden Teilbereichen zuhause waren, quasi mit einem Bein in der Sportpraxis und mit dem anderen in der Sportwissenschaft standen. Ungewöhnlich, denn bis dato teilte sich das Sportstudium üblicherweise in Theorie- und Praxiselemente auf. Dieser Ansatz, von der Arbeitsstelle Sport konzipiert, wird bis in die Gegenwart verfolgt. 1980, im Zuge der Eingliederung der Pädagogischen Hochschule, wurde die Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft errichtet.
Vielfalt des Hochschulsports
Der Bereich des Hochschulsports ist auch in der Gegenwart noch im Aufgabenbereich der Sportwissenschaft verortet. Über die Jahrzehnte gab es vielfältige Sportangebote – angefangen bei den hochschulinternen Fußballturnieren in den 1970er Jahren über Ausrichtung von Hochschulmeisterschaften im Handball oder Geräteturnen bis hin zu Fitnesstraining und Kursen in den Trendsportarten Zumba und Body Pump. Auch im Behindertensport hat die Universität Bielefeld mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft im Rollstuhltischtennis durch ihren Rechenzentrums-Mitarbeiter Günther Jesgarzewski im Jahr 1982 ihren Fußabdruck hinterlassen.
Vom Zebrafink zum CeBiTec – Die Gründung der Fakultät für Biologie
Professor Dr. Klaus Immelmann bemühte sich seit seiner Berufung um den Aufbau des Gebäudes der Verhaltensforschung und der obligatorischen Tierhaltung. Vor allem Zebrafinken wurden zu Forschungszwecken gezüchtet. Heute leben von Seeanemonen über Chamäleons bis hin zu Minischweinen zahlreiche Tiere auf dem Campus zu Beobachtungszwecken. Ab 1974 konnte schließlich nach und nach mit der wissenschaftlichen Arbeit begonnen werden. Zu dieser Zeit forschten und arbeiteten die Mitarbeitenden im Gebäude der Verhaltensforschung, das im selben Jahr fertiggestellt worden war. 1977 siedelte die Fakultät (mit Ausnahme des Lehrstuhls für Verhaltensforschung) in das Universitätshauptgebäude um.
Stark in (interdisziplinärer) Forschung
Zentrale Forschungsfelder der Fakultät zur Gründungszeit waren v.a. die Verhaltensforschung, die Stoffwechselphysiologie (also Forschungen zur Energiegewinnung durch Sonnenlicht) und die molekulare Zellbiologie (auch Untersuchungen zur Molekulargenetik). Hinzu kamen seit den 1980er Jahren unter anderem genetisch und ökologisch ausgerichtete Forschungsbereiche. Die Ausrichtung auf Genetik sorgte am Anfang für große Widerstände, als um 1985 ein Lehrstuhl für Gentechnik eingerichtet wurde. Gerade dieser Bereich erfreut sich aber seit Jahrzehnten wachsender Bedeutung und das besonders im interdisziplinären Kontext. Als Folge wurden verstärkt Forschungskooperationen mit anderen Fakultäten (Technische Fakultät, Fakultät für Chemie u.a.) eingegangen, die in Sonderforschungsbereichen gipfelten.
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Fotograf: Klaus Halbe
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01841
Später wurde aus der Biologie heraus das „Center for Biotechnology“ (CeBiTec) gegründet. Die Biologie ist außerdem maßgeblich am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) beteiligt. Auch in der Lehre tut sich die biologische Fakultät hervor: Neben der Hochschullehre gibt es mehrere Projekte für Schülerinnen und Schüler, um diese für Biologie zu begeistern, wie etwa die „Kolumbus-Kids“ oder „Biologie hautnah“.
Start in der Verhaltensforschung – Die Gründung der Fakultät für Chemie
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Fotograf: Peter Thölen
Quelle: WB (Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01832)
Bereits 1973 hatte die Firma Dr. Oetker zugesagt, einen Laborraum inklusive Ausstattung und einen Besprechungsraum für den Aufbau der Fakultät bereitzustellen. Über knapp zwei Jahre konnten dort die am Gründungsprozess beteiligten Professoren an der Konzeption des Studiengangs arbeiten. Bei der Gründung der Fakultät im Juli 1975 waren dann vier Lehrstühle besetzt: Anorganische, Organische, Physikalische und Theoretische Chemie. Der weitere Aufbau der Fakultät verzögerte sich jedoch wegen der erheblichen finanziellen Probleme des Landes NRW in Folge der Ölkrise. Wichtig für die weitere Entwicklung des Faches war der Einzug in die Laboratorien des Universitätshauptgebäudes 1977. Die ersten 30 Studierenden hatten zum Wintersemester 1974/1975 in der Verhaltensforschung begonnen, sodass der Umzug eine deutliche Verbesserung der Forschungs- und Lehrmöglichkeiten mit sich brachte. Durch die Mitarbeit an Sonderforschungsbereichen in den 1980er und 1990er Jahren (SFB 216 „Polarisation und Korrelation in atomaren Stoßkomplexen“ und SFB 223 „Pathomechanismen zellulärer Wechselwirkungen“) konnte die Fakultät weiter ausgebaut werden: Weitere Lehrstühle wurden geschaffen und die Bielefelder Chemie etablierte sich auf der deutschen und internationalen Forschungslandkarte.
Aus der Fakultät für Chemie kam Anfang der 2000er Jahre der Anstoß zur Gründung des teutolab, in dem Schülerinnen und Schüler auf spannende Art ihr Interesse an Chemie ausleben.
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Fotograf: Peter Thölen
Quelle: WB (Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01849)
Kein Studienplatz trotz Bestnote
Kuriose Notiz am Rande: Wie in der Bielefelder Universitätszeitung nachzulesen ist, wurde zum Wintersemester 1975 der deutschlandweit notenbeste Bewerber (Abiturnote 0,9) für das Studienfach Chemie an der Universität Bielefeld abgelehnt. Nach dem Bewertungsmodell der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) zählen nach der notenabhängigen, generellen Zulassung für das Hochschulstudium im Fach Chemie soziale Kriterien, die für die Annahme an bestimmten Hochschulen entscheidend sind. Bei den Sozialkriterien wurden dem besagten notenbesten Bewerber zwanzig andere Konkurrentinnen und Konkurrenten für die zwanzig Bielefelder Plätze vorgezogen, da diese mehr in der Region verankert waren (soziales Engagement, Kinder etc.). Da der Bewerber mit der guten Abiturnote neben Bielefeld keinen anderen Hochschulort angegeben hatte, wurde ihm im Endeffekt sogar gar kein Studienplatz zugewiesen.
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Fotograf: Klaus F. Linnenbrügger
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01852
„Wenig bis Selten“ – Gründung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
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Fotografin: Norma Langohr
Quelle: Universität Bielefeld
In den Gründungsgremien waren die Wirtschaftswissenschaften durch die Bonner Ökonomen Prof. Dr. Wilhelm Krelle, später Vorsitzender der Fachbereichskommission, und Prof. Dr. Horst Albach vertreten. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der konkrete Ausbaustand der Universität vor Ort ließen jedoch die Fakultäten der zweiten Ausbaustufe der Universität von Anfang an in unruhiges Fahrwasser geraten. Knappere Ressourcen in Verbindung mit der ungenügenden räumlichen Unterbringung von Fakultät und Institut für Mathematische Wirtschaftsforschung (IMW) vor der Fertigstellung des Universitätshauptgebäudes machten den Fakultätsaufbau problematisch. Einer 1973 von Prof. Dr. Alois Wenig geleiteten Aufbaukommission gelang es jedoch, die Weichen für eine mit ausreichenden personellen und sachlichen Mitteln ausgestattete Fakultät zu stellen und mit Bezug des Universitätshauptgebäudes 1976 zeigte die Fakultätsentwicklung endgültig nach oben.
Theorie und Praxis
Die Fakultät zeichnete von Beginn an eine eher mathematisch-theoretisch orientierte und forschungsstarke Volkswirtschaftslehre aus. Diese Ausrichtung ermöglichte eine intensive Zusammenarbeit zum IMW, das ebenfalls zunächst in Rheda untergebracht war und dort mit einem hohen wissenschaftlichen Anspruch, aber geringer personeller Ausstattung, u.a. dem späteren Nobelpreisträger Prof. Dr. Reinhard Selten, in erster Linie zur Spieltheorie forschte. Die erst 1979/80 hinzugekommene Betriebswirtschaftslehre war von Anfang an und ist auch heute noch u.a. stark in der Unternehmensforschung, was nicht zuletzt die 2014 eingerichtete Stiftungsprofessur „Führung von Familienunternehmen“ in enger Kooperation mit führenden ostwestfälischen Wirtschaftsunternehmen belegt.
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Fotografin: Norma Langohr
Quelle: Universität Bielefeld
Nahe am Nobel-Preis
Die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften zeigte übrigens bei der Verleihung von zweien ihrer bisher vier Ehrenpromotionen ein besonderes Gespür für nobelpreisverdächtige Forschungsleistungen. Reinhard Selten, von 1972 bis 1988 Professor der Universität sowie bis 2015 im Wissenschaftlichen Beirat des ZiF, und Prof. Leonid Hurwicz wurden von der Fakultät einige Jahre vor ihrer Würdigung durch das Nobelpreiskomitee zu Ehrendoktoren der Fakultät ernannt.
Die Universität macht Schule – Eröffnung von Laborschule und Oberstufenkolleg
Aber Hartmut von Hentig wollte nicht nur die Lehrinhalte, sondern auch die Lehrmethoden ändern. Von 1970 bis 1974 erarbeitete eine Aufbaukommission die Lernziele und Curricula der beiden Schulen und plante die dazu passenden Schulgebäude. Eine demokratische Schulkultur, die den Schülerinnen und Schülern den Wert von Mit- und Selbstbestimmung sowie sozialer Verantwortung vermittelt, war der Grundgedanke. Die Offenheit nach innen und außen ist bis heute ein wesentliches Prinzip beider Versuchsschulen, die sich auch in der Schularchitektur widerspiegelt.
In der Laborschule beispielsweise gibt es keine Klassenräume, sondern der Unterricht findet auf sogenannten Feldern statt. Die Grundkonzeption sieht die Schule als Lebens- und Erfahrungsraum und als Gesellschaft im Kleinen. Wichtig war auch die Unterbringung beider Schulprojekte unter einem Dach, um Gemeinsamkeiten zu pflegen und Synergieeffekte zu nutzen.
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 228
Schule als „Versuchslabor“
Am 30. August 1974 wurde das gemeinsame Gebäude der beiden Schulprojekte in einer kleinen Feierstunde an die Universität Bielefeld übergeben. Die Schultüren öffneten sich schließlich am 9. September, womit die Schulprojekte genau einen Monat vor dem Richtfest des Hauptgebäudes den Unterricht aufnahmen. Der Unterricht in der Laborschule startete mit 180 Kindern, angemeldet waren über 800.
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
Der Name „Laborschule“ wurde bewusst gewählt, da es sich weniger um eine Modellschule und mehr um eine Versuchsschule handeln sollte. An der Laborschule wurden und werden Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 0 (Vorschuljahr) bis 10 unterrichtet, wobei die Übergänge von einem Jahrgang zum nächsten fließend sind. Deshalb wird nach Stufen, die mehrere Jahrgänge zusammenfassen, unterteilt, die sich teilweise überschneiden und so altersgemischte Gruppen bilden. Das Oberstufen-Kolleg hatte zuvorderst den konzeptionellen Auftrag den Übergang von der allgemeinen Bildung zum Fachstudium didaktisch zu vermitteln.
„Neue Orientierung für ein altes Fach“ – die Fakultät für Geschichtswissenschaft
„Bielefelder Schule“
Die Fakultät für Geschichtswissenschaft entwickelte sich auf der Basis von konsensfähigen Weichenstellungen der Gründungsphase bald zu einer der renommiertesten Geschichtsfakultäten Deutschlands. Die „Neuorientierung eines alten Fachs“ (Koselleck) im Rahmen der „Reformuniversität“ Bielefeld sah eine interdisziplinärere, theorie-, sozial- und wissenschaftsgeschichtlichere Geschichtswissenschaft vor. Man entwarf ein Konzept für die Geschichtswissenschaft als von theoretischer Reflexion begleiteter historischer Sozialwissenschaft. Die Überwindung der traditionellen Epocheneinteilung Antike-Mittelalter-Neuzeit zugunsten des Epochenmodells Vormoderne-Moderne oder Lehrstühle wie „Theorie der Geschichte“ oder „Sozialgeschichte“ waren Neuerungen, die bald unter dem Begriff „Bielefelder Schule“ bekannt wurden.
Einen wesentlichen Beitrag dazu leisteten hervorragende Forscherpersönlichkeiten der Planungs- und Aufbauphase wie Jürgen Kocka, Reinhart Koselleck, Hans-Ulrich Wehler und andere, die die neue Fakultät bald national wie international zu einem Aushängeschild der jungen Universität machten. Das Erscheinen des letzten Bandes von Hans-Ulrich Wehlers fünfbändiger Deutscher Gesellschaftsgeschichte (1987-2008), ein Standardwerk der deutschen Geschichtsschreibung, wurde sogar von Harald Schmidt ausführlich gewürdigt.
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Quelle: Sat.1, 30.10.2008
Neuordnung der Fakultät
Im Zusammenhang mit der Integration der Abteilung Bielefeld der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe in die Universität Bielefeld am 1. April 1980 wurde eine Neuordnung und Neustrukturierung der Fakultäten notwendig. Das Ergebnis war u.a. die Auflösung der Drillingsfakultät Pädagogik, Philosophie und Psychologie und die Gründung einer neuen Fakultät mit den zwei Abteilungen Geschichtswissenschaft und Philosophie am 1. März 1980. Das Zusammenleben der großen Geschichtswissenschaft und der vergleichsweisen kleinen Philosophie wurde von Vertreterinnen und Vertretern der Fächer durchaus als „friedliches Nebeneinander“, nicht aber „fruchtbares Miteinander“ (Rüthing) bezeichnet.
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Fotograf: Seutter
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
Zum Wintersemester 2002/03 kam als dritte und kleinste Abteilung die (evangelische) Theologie hinzu.
Erfolg
Die Fakultät und hier besonders die Geschichtswissenschaft genießt auch nach einem Generationenwechsel weiterhin hohes Ansehen, was unter anderem durch mehrere SFB-Bewilligungen belegt wird: etwa der SFB 177 „Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums“ von 1986 bis 1997, der eine überaus große Außenwirkung entfaltete, oder der SFB „Praktiken des Vergleichens“, der 2017 anlief. Auch eine Vielzahl nationaler und internationaler Preise ging an Mitglieder der Fakultät. So erhielten die Historikerin Prof. Dr. Ute Frevert 1998, der Historiker Prof. Dr. Bernhard Jussen 2007 und der Philosoph Prof. Dr. Martin Carrier 2008 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis, den wichtigsten deutschen Forschungsförderpreis.
Von ALiBi zur LiLi-Fakultät
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 234
Die LiLi-Fakultät war eine innovative Gründung, die dem Reformkonzept der Bielefelder Universität geradezu exemplarisch entsprach. Die Fakultät war bewusst theoriestark angelegt und teilte sich nicht in Einzelphilologien auf, sondern näherte sich der Literaturwissenschaft von der linguistischen Seite: so entstanden u.a. Lehrstühle für Syntax, Semantik und Texttheorie anstatt für Romanistik, Germanistik und Anglistik. Daneben wurde ein Sprachenzentrum geschaffen, in dem man die Sprachen lernen und die dazu gehörige Literatur kennenlernen sollte. Um den ursprünglich konzeptionell eingebauten Wechsel von Studium und Lehre zu ermöglichen – vereinfacht gesagt, sollten sich Hochschullehrende ein Jahr lang stärker in der Lehre engagieren, um anschließend ein komplettes Forschungsjahr ohne Lehrverpflichtungen zu bekommen –, plante Prof. Dr. Harald Weinrich die Einrichtung eines Blockstudiums. Dieses scheiterte aber an den Widerständen der anderen Fakultäten.
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 235
Durch äußere Faktoren kam es relativ schnell nach der Gründung zur Verwässerung des Reformkonzeptes. Die Fakultät wurde vom Wissenschaftsministerium zur (Neu-)Besetzung der Lehrstühle nach Nationalphilologien aufgefordert, sodass sich nach und nach die „klassische“ Lehrstuhlbesetzung mit der Besetzung nach linguistischen Formen vermischte. Im Jahr 1987 wurde dann noch das Sprachenzentrum als zentrale Einrichtung der Universität aufgelöst und in die LiLi-Fakultät integriert. Aber trotz dieser Widrigkeiten ist die Fakultät bis heute von der Studierendenzahl eine der größten der Universität und bietet ein breites und differenziertes Lehrangebot für Studierende. Daneben ist die Fakultät besonders in der Forschung innovativ und nimmt immer wieder aktuelle Themen in den Blick – von der Text- über die Computerlinguistik bis zur klinischen Linguistik.
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Fotograf: Seutter
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01878
„Physik im Schaufenster“ – die Gründung der Fakultät für Physik
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Fotograf: Richter
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01889
Bereits vor der Gründung der Fakultät gab es einige Mathematikstudierende, die Physik als Nebenfach hatten. Deshalb wurde im Januar 1971 eine Arbeitsstelle Physik eingerichtet und ein theoretischer Lehrstuhl besetzt. Im Frühjahr desselben Jahres konnte die theoretische Physik mit geborgten Möbeln aus der Mathematik einige Räume im Dachgeschoss des Iduna-Hauses am heutigen Willy-Brand-Platz beziehen.
Die Experimentelle Physik bezog kurze Zeit später Räumlichkeiten in einem Hinterhof der Viktoriastraße und konnte dort schließlich Anfang 1972 die erste Messapparatur in Gang setzen. Im Vorderhaus lag ein Ladenlokal, welches ebenfalls mitangemietet worden war. Dort fanden Teile des physikalischen Praktikums statt, sodass die Bürgerinnen und Bürger Bielefelds die seltene Möglichkeit bekamen, den Studierenden bei ihrer Tätigkeit zuzuschauen.
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Fotograf: unbekannt
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01890
Die Fakultät wählte einen überwiegend experimentellen Forschungsschwerpunkt mit der „Physik der Atome und ihren Wechselwirkungen“, was dem Zeitgeist entsprach. Diese Schwerpunktsetzung und auch die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Biologie mündete gut zehn Jahre nach der Fakultätsgründung in die Bewilligung des ersten Bielefelder Sonderforschungsbereichs. Seitdem ist die physikalische Fakultät international bekannt und in der Forschungslandschaft gut vernetzt. Der SFB 216 „Polarisation und Korrelation in atomaren Stoßkomplexen“ (1983 bis 1997) hat viel zur internationalen Reputation und Vernetzung in der Forschungslandschaft der Fakultät beigetragen.
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Fotograf: Hans Dieter Johner
Quelle: NW Archiv (Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01891)
Richtfest für die „Bastion der Wissenschaft“ – Das ZiF zieht an den Wellenberg
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 21
Als das ZiF im Oktober 1972 aus Rheda in sein heutiges Gebäude zog, sah man auf dem Platz des Universitätshauptgebäudes noch nichts anderes als 30 mächtige Türme – für die Aufzugschächte – aus dem Boden ragen. So war der zeitliche Vorsprung des ZiF ganz klar sichtbar und dies war auch gewollt, denn so konnten Universitätsbedienstete in den ZiF-Wohnungen arbeiten, bis das Universitätshauptgebäude 1976 fertiggestellt war. Insgesamt umfasste der Neubau neben mehreren Sitzungsräumen, Büros für die Verwaltung, Mensa und der ZiF-Bibliothek auch über 30 Wohnungen und ein Schwimmbad für die Fellows. Der Gesamtbau kostete ungefähr 15 Millionen DM (nach heutiger Kaufkraft über 20 Millionen Euro).
Die erste Forschungsgruppe, die im ZiF schließlich im April 1973 startete, befasste sich mit der „Neuen Mathematik“ (Mengenlehre). Dieses Thema war durchaus bewusst gewählt: In den 1970er Jahren gab es kaum ein größeres Aufregerthema an deutschen Schulen, da an Stelle des traditionellen Rechenunterrichts Mathematik als Beschäftigung mit abstrakten Strukturen gelehrt werden sollte. Seit dieser ersten Gruppe, deren Mitglieder (Fellows) für die Dauer der Forschungsgruppe im ZiF lebten und zusammen das Thema bearbeiteten, änderte sich an diesem Modus Operandi nichts. Die Einladungsliste definiert sich damals wie heute über das Thema und die gelebte Interdisziplinarität zu einem nicht geringen Teil über die Nähe, die das gemeinsame Wohnen schafft. Das ZiF versucht seit seiner Anfangszeit immer wieder gesellschaftlich besonders relevante Themen aufzugreifen und interdisziplinär zu definieren sowie zu diskutieren.
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Fotograf: Günter Rudolf
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01862
Daneben gibt es am ZiF Studiengruppen mit einer Laufzeit von etwa vier Monaten und Arbeitsgemeinschaften mit ca. einer Woche Laufzeit. Letztere Arbeitsform hatte sich bereits in Rheda etabliert, wo bis zum Umzug insgesamt 54 Arbeitsgemeinschaften stattfanden. Besondere Highlights in der ZiF-Historie waren Besuche von Forschenden wie Elinor Ostrom und Norbert Elias oder Forschungsgruppen zur Theorie des Wohlfahrtsstaates, der klinischen Linguistik, der Spieltheorie oder zur ethnischen Identität in den Amerikas. Daneben ergaben sich über die Jahre regelmäßig Kontakte von Forschenden, die ähnliche Zentren aufbauen wollten (u.a. nach Stellenbosch in Südafrika, Kyoto in Japan und Paris). Diese informierten sich vor allem über die Anlage und Funktionsweise des ZiF, um sich Anregungen für die geplanten Gründungen bzw. Ausgestaltungen einzuholen.
Drillings- statt Interfakultät
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Fotograf: Seutter
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 00660
Bei der ersten Sitzung der Fachbereichskommission waren sich die Anwesenden – u.a. Prof Dr. Friedrich Kambartel als Vorsitzender, Prof. Dr. Heinz Heckhausen, Prof. Dr. Hermann Lübbe und Prof. Hartmut von Hentig – bereits darin einig, „daß den drei Disziplinen im Rahmen der Universität Bielefeld eine kritische Funktion gegenüber dem wissenschaftlichen Handeln und Reden gemeinsam sein sollte.“ Auf den dieser Orientierung folgenden Namen „Interfakultät“ konnte man sich allerdings nicht einigen, sodass es bei der Drillingsfakultät PPP blieb.
Bereits im November 1965 hatte sich von Hentig gegenüber Professor Dr. Helmut Schelsky dafür ausgesprochen, die Pädagogik in die zu gründende philosophische Fakultät einzuordnen. Die Konzeption Hartmut von Hentigs sah für die Pädagogik zu diesem Zeitpunkt auch schon einen starken psychologischen Anteil vor, sodass die Dreierfakultät konzeptionell Sinn ergab. Nach dem endgültigen Gründungskonzept der Universität Bielefeld hatte die PPP-Fakultät als zentrale Aufgabe die Übernahme des erziehungswissenschaftlichen Studiums für die Lehramtsstudierenden aller Fakultäten.
Im Laufe der Zeit verschob sich diese Aufgabe etwas in Richtung der Ausbildung von Diplom-Pädagoginnen und -Pädagogen und auch in der Psychologie entwickelte sich Umfang und innere Differenziertheit des Studiengangs anders als am Anfang geplant. Aus diesem Grund wurde 1980 die Drillingsfakultät aufgelöst, was von allen drei Fachbereichen mitgetragen wurde. Neu gebildet wurden eine Fakultät für Pädagogik sowie eine Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft. Das Fach Philosophie wurde als Abteilung in die Fakultät für Geschichtswissenschaft integriert. Ohne diese Reorganisation hätte die unmittelbar danach erfolgende Integration der Studierenden der Pädagogischen Hochschule zu einer immens großen und kaum noch handlungsfähigen PPP-Fakultät geführt.
Die Dritte im Bunde: Gründung der Fakultät für Mathematik
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Quelle: WDR und cinetv (Universitätsarchiv Bielefeld, FS 31)
In den Gründungsgremien der Universität, die sich im November 1965 konstituierten, war die Mathematik mit Prof. Dr. Friedrich Hirzebruch (Bonn) im Gründungsausschuss und mit Prof. Dr. Karl Peter Grotemeyer (Berlin) im Wissenschaftlichen Beirat vertreten. Hirzebruch leitete ebenfalls die Fachbereichskommission Mathematik, die bis zur Gründung der Universität den Aufbau der Fakultät plante und deren inhaltliche und personelle Ausrichtung festlegte.
Teil des Gründungskonzeptes der Universität waren auch das Institut für Mathematische Wirtschaftsforschung (IMW), das Institut für Didaktik der Mathematik (IDM) und der Forschungsschwerpunkt Mathematisierung (FSP Mathematisierung), die in der Aufbauphase der Universität als zentrale wissenschaftliche Einrichtungen entstanden. Alle drei Institute sind eng mit der Fakultät verzahnt. Bereits mit der Gründung legte die Fakultät die im Wesentlichen bis heute geltende Grundstruktur fest, die Gliederung der Mathematik in die drei Bereiche Algebra, Analysis und Angewandte Mathematik, und etablierte eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit.
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Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FS 226
Bielefelder Mathematik ist Spitze
In der Folgezeit konnte sich die Fakultät national und international einen hervorragenden Ruf erarbeiten. Mehrere Sonderforschungsbereiche, Forschungsgruppen und Graduiertenkollegs, durchgängig Spitzenplätze in Rankings in Forschung und Lehre, die hohe Anzahl deutscher und ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die z.B. ihr Forschungsstipendium von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung oder Mittel aus Förderungsprogrammen der DFG oder der Europäischen Union nutzen, um in Bielefeld zu forschen, sowie eine überdurchschnittliche Zitierhäufigkeit waren und sind Beleg dafür.
Spannende Notiz am Rande: Auch wenn die Mathematik nur die dritte Fakultät der neuen Universität war, so konnte sie doch für sich in Anspruch nehmen, den ersten Studenten der Universität in ihren Reihen zu haben. Am 23. Oktober 1969 und damit einen Tag vor der Fakultätsgründung wurde mit dem Mathematikstudenten Günther Quandt der erste Bielefelder Universitätsstudent überhaupt immatrikuliert.
Einzigartig – die Gründung der Fakultät für Soziologie
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Quelle: WDR (Universitätsarchiv Bielefeld, FS 31)
Die Fakultät bedeutete einen Durchbruch für die Soziologie in Deutschland. In Bielefeld bot sich durch die Fakultätsgründung die Chance, die Bereiche der soziologischen Ausbildung und Forschung frei von früheren hochschul- und fakultätsgeschichtlichen Entwicklungen neu zu ordnen. Bereits im Vorfeld der Fakultätsgründung setzte das Ringen um die Übernahme der Dortmunder Sozialforschungsstelle und ihrer Bibliothek sowie um ein neuartiges Konzept einer stärker berufsbezogenen Soziologieausbildung ein. Das Kämpfen um einen „berufsbezogenen Diplomstudiengang“, das Konzept der „aktiven Professionalisierung“ und die Prüfungsordnung dominierte neben der Definition von Forschungsschwerpunkten (u.a. Rechtssoziologie, politische Soziologie, Mathematik der Sozialwissenschaften, Lateinamerika- oder Wissenschaftsforschung) die ersten Jahre der Fakultät. Daneben kam es auch vor dem Hintergrund der Studierendenbewegung zu internen Auseinandersetzungen, die dem klassischen „rechts-links“-Schema entsprachen und sich insbesondere bei Berufungen manifestierten.
Weltgrößen der Soziologie in Bielefeld
Trotzdem übten die mit der Gründung der Fakultät verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten auch eine große Faszination aus: Die Fakultät – und das ZiF – waren entscheidend dafür, dass sich der 1933 nach Großbritannien geflüchtete Soziologe Norbert Elias von 1978 bis 1984 in Bielefeld aufhielt. Der 18. Deutsche Soziologentag fand 1976 in Bielefeld statt, ebenso der XIII. Weltkongress für Soziologie im Jahr 1994.
Im Kontext dieser Gestaltungsfreiheiten konnte u.a. Niklas Luhmann seine Systemtheorie entwickeln und damit das Außenbild der Fakultät entscheidend mitprägen. Daneben entwickelte die Fakultät in der Folgezeit eine interne Struktur von Arbeits- und Forschungsbereichen, die auch die Erforschung aktueller gesellschaftlicher Transformationsprozesse – zum Beispiel in der Medien- oder der Geschlechtersoziologie – ermöglichte.
Heute vereint die Fakultät unter ihrem Dach eine Mehrzahl von Fächern. Neben der allgemeinen Soziologie und mehreren speziellen Soziologien sind die Politikwissenschaft und die Sozialanthropologie sowie die Sozialwissenschaft (als interdisziplinäre Verbindung von Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaften) an der Fakultät für Soziologie in Lehre und Forschung vertreten.
Erste Fakultät der Universität: Rechtswissenschaft
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Fotograf: Bernhard Preker
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, NEG 1.5_4_5
Bereits in den Gründungsgremien war die Rechtswissenschaft stark vertreten. Neben Prof. Dr. Ernst-Joachim Mestmäcker, der das Fach im Gründungsausschuss – ab 1967 als Vorsitzender – vertrat und im September 1969 zum ersten Rektor der Universität gewählt wurde, saßen mit Ernst-Wolfgang Böckenförde, Günther Jahr, Armin Kaufmann, Werner Maihofer und Dieter Nörr 1966 fünf weitere Juristen im Wissenschaftlichen Beirat, die im Planungsprozess die Fachbereichskommission Rechtswissenschaft bildeten.
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Quelle: WDR und cinetv (Universitätsarchiv Bielefeld, FS 31)
Das „Bielefelder Modell“ der einstufigen Juristenausbildung
Die Fachbereichskommission Rechtswissenschaft sah ihren Beitrag im Rahmen der Reformuniversität Bielefeld in der Notwendigkeit einer Reform des juristischen Studiums und nahm dabei die jahrzehntelange Kritik an einer zu theoretischen, praxisfernen, langen und zu einseitig auf das Richteramt angelegten Juristenausbildung auf. Nachdem 1971 die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erprobung anderer Ausbildungsformen geschaffen worden waren, lieferte die Fakultät in Bielefeld – neben anderen Universitäten der Bundesrepublik – einen eigenen Beitrag zur sogenannten einstufigen Juristenausbildung („Bielefelder Modell“). Im Wintersemester 1973/74 nahm der erste Ausbildungsjahrgang mit 187 Teilnehmern an der Universität Bielefeld das Studium im Rahmen der einstufigen Ausbildung auf. Kennzeichen waren eine enge Verbindung von praktischer und theoretischer Ausbildung, eine Schwerpunktbildung in der Endphase der Ausbildung, eine Verteilung des Prüfungsstoffes auf die gesamte Ausbildungszeit und eine Betreuung der Studierenden in Kleingruppen.
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Fotograf: Manfred Kettner
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01922
Primär aus politischen Gründen wurde nach dem Regierungswechsel 1982/83 dieses Reformprojekt bundesweit abgebrochen. Ein Gesetzesentwurf, der wesentliche Teile des „Bielefelder Modells“ enthielt, wurde nicht mehr umgesetzt.
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Foto: Universität Bielefeld
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld.
Sprungbrett Bielefeld
Seitdem bildet die mittlerweile größte Fakultät der Universität zwar wieder auf traditionelle Weise in einer zweistufigen Ausbildung (Studium und Referendariat) Juristinnen und Juristen aus, ist aber weiterhin gegenüber aktuellen Studienreformbestrebungen aufgeschlossen. Bewahrt hat sich die inzwischen internationaler, jünger und weiblicher gewordene Fakultät darüber hinaus eine besondere Wertschätzung der Grundlagenfächer Philosophie, Geschichte und Soziologie.
Die Fakultät bedeutete für einige ihrer Angehörigen auch ein Sprungbrett in höhere Ämter. Maihofer wurde wenige Jahre nach seiner Berufung nach Bielefeld Bundesminister für besondere Aufgaben (1972-1974) und anschließend Bundesinnenminister (1974-1978) in einer sozialliberalen Koalition. Und nicht weniger als fünf Bielefelder oder ehemalige Bielefelder Professorinnen und Professoren bekleideten das Amt eines Bundesverfassungsrichters bzw. einer Bundesverfassungsrichterin.
Spannende Notiz am Rande: Der in Bielefeld geborene Bernhard Schlink startete als wissenschaftlicher Assistent von der Fakultät für Rechtswissenschaft aus nicht nur eine Karriere als Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, sondern auch als Bestsellerautor.
Das „Zentrum der Universität“ nimmt seine Arbeit im Schloss Rheda auf
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Quelle: WDR und cinetv (Universitätsarchiv Bielefeld, FS 31)
Das ZiF wurde als eine in Deutschland einzigartige Universitätseinrichtung gegründet und nahm bewusst vor dem Start des Lehrbetriebs der Universität seine Arbeit auf. Die Einrichtung war eine besondere Idee von Helmut Schelsky, der auch der erste Leiter wurde. Konzipiert wurde das erste deutsche Institute for Advanced Study nach dem Vorbild der amerikanischen Institute in Princeton und Stanford.
Holpriger Start wird zur Tugend
Schelsky sah die Aufgabe des ZiF in der „Wiedervereinigung der Wissenschaften“ als Gegenbewegung zur immer weiter erfolgten Spezialisierung. Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte er an ein Center for Advanced Studies zur interdisziplinären Zusammenarbeit in Deutschland gedacht. In den Aufbauschriften zur Neugründung wurde das ZiF schließlich als „Zentrum der Universität“ bezeichnet, was die starke interdisziplinäre Ausrichtung der Bielefelder Reformuniversität deutlich macht. In der Satzung des Zentrums wurde insbesondere die interdisziplinäre Grundlagenforschung als Einrichtungsziel hervorgehoben.
Von 1968 bis zur Fertigstellung des ZiF-Gebäudes am Wellenberg arbeitete das Zentrum im Schloss Rheda. Dr. Gerhard Sprenger, von 1971 bis 1998 geschäftsführender Direktor des ZiF, schilderte die Zeit im Schloss folgendermaßen: „Neben einigen Büroräumen gab es dort einen mittelgroßen Tagungsraum und etwas Nebengelaß. Alles andere fehlte: Es waren noch nicht alle Mitarbeiterstellen besetzt, es mangelte an Wohnungen für Gäste und das Institut entbehrte vor allem der Universität im Hintergrund, die noch im Aufbau war“.
Aus diesen strukturellen Beschränkungen heraus traten in den Anfangsjahren in Rheda die Arbeitsgemeinschaften und Tagungen in den Vordergrund, die in der Regel nur einige Tage dauerten. Erst nach dem Umzug auf den Campus veränderte sich das Forschungsprofil hin zu lange laufenden Forschungsgruppen, wobei das Format der Arbeitsgemeinschaften ebenfalls bis heute fortbesteht.